Heilbronner Weg

Nach erfolgreicher Parkplatzsuche in Oberstdorf chauffierte uns der Bus an das Ende des Stillachtals. Dort hieß es dann die, durch Biwakausrüstung, Pickel und Steigeisen gut gefüllten, Rucksäcke zu schultern und auf einem so gar nicht alpin anmutenden Fahrweg in Richtung Einödsbach zu laufen. Ab Einödsbach wich der Fahrweg endlich einem Wanderweg, der seines Namens würdig ist und verschwand im Wald, in welchem wir endlich ein paar Höhenmeter sammeln konnten. Mit durchstoßen der Waldgrenze erreichten wir die Petersalpe und konnten das erste Mal einen Blick auf die verschneiten Berggipfel werfen, erleichtertet Pickel und Steigeisen nicht umsonst mitgeschleppt zu haben, stiegen wir weiter bergan, das nächste Zwischenziel, die Enzianhütte entzog sich zwar unseren Blicken, dafür passierten wir die ersten Schneereste des vergangenen Winters. Wenige Meter vor der Enzianhütte entschlossen wir uns eine Mittagspause einzulegen, die Hälfte sowohl von den Höhenmetern als auch von der Strecke hatten wir geschafft. Nach dem Verzehr eines Butterbrotes starteten wir in die zweite Streckenhälfte, wohl wissend, dass diese alpinistisch anspruchsvoller und damit auch interessanter werden würde. Bereits wenige Meter nach der Hütte galt es einige Schneefelder zu traversieren. Es kam, wie es kommen musste, ein Stück des Schneefeldes brach bei meinem betreten weg, ich verlor das Gleichgewicht und begann das Schneefeld hinabzurutschen. Instinktiv drehte ich mich in die Bauchlage, nahm die Liegestützposition ein und stoppte so mein Hinabrutschen. Nach diesem kleinen Schreckmoment verlief der restliche Weg, an der Rappenseehütte vorbei zum Einstieg des Heilbronner Weges relativ Ereignislos, abgesehen von dem Gewicht des Rucksackes, welches sich langsam in meinen Schultern bemerkbar machte. Kurz vor dem Einstieg nahm die Schneefelddichte immer mehr zu, bis auch die letzten schneefreien Flecke verschwanden und einer geschlossenen Schneedecke wichen. Da das Gelände zusätzlich immer steiler wurde, beschlossen wir unsere Steigeisen anzuziehen und den Pickel in die Hand zu nehmen. Während des „Anrödeln“ überholte uns ein weiterer Berggänger –ohne Steigeisen, ohne Pickel, noch nicht einmal in ordentlichen Bergschuhen, sondern in Joggingschuhen. Etwas verwundert stiegen wir ihm nach. Mit steigender Aufregung und Vorfreude auf die kommenden anspruchsvolleren Meter holten wir jenen Berggänger in Joggingschuhen wieder ein – nur zu gerne überließ er uns das Spuren. Nach einer etwas ausgesetzteren Stelle beschloss er umzudrehen, wie sich später herausstellen sollte, war dies die richtige Entscheidung. Wir erreichten als das „Heilbronner Törle“, einen schmalen Felsdurchschlupf, welcher je nach Rucksackgröße herausfordernd werden kann. Die nächste steile und ausgesetzte Querung lehrte mich Dankbarkeit gegenüber meinen Steigeisen und Pickel, ohne diese beiden Ausrüstungsgegenstände hätte ich mich mehr als unwohl gefühlt. Die nächsten Meter ließen den Puls wieder sinken, was wir ausnutzten, um eine weitere Pause einzulegen. Es war bereits später Nachmittag geworden, unser Biwakplatz der Vorgipfel des Wilden Manns, war nicht mehr weit, nur noch der Gipfel des Steinschartenkopfes und ein kleiner Verbindungsgrat lag noch zwischen uns und unserem Tagesziel. Um jenen Gipfel des Steinschartenkopfes zu erreichen, durften wir an dem finalen Steilstück die Frontzacken unserer Steigeisen in den steilen Schnee rammen – für mich ist dies eines der schönsten Gefühle überhaupt, in Schnee aufzusteigen, der so steil ist, dass man die Frontalzackentechnik einsetzen muss und den Pickel aktiv als Aufstiegshilfe benötigt. Ich weiß nicht, warum genau diese Art und Weise des Bergsteigens so eine Begeisterung in mir weckt. Vielleicht finde ich den Grund eines Tages noch heraus. Mit überqueren der berüchtigten Brücke des Heilbronner Wegs (auf Bildern sieht sie viel spektakulärer aus als sie tatsächlich ist) war der Gipfel des Steinschartenkopfes erreicht.

Von da ging es die letzten Meter unschwierig am Grat entlang auf den Vorgipfel des Wilden Manns, auf dem wir unser Nachtlager in Form eines Biwaksackes aufschlugen. Nach dem Verzehren einer ordentlichen Portion Kässpätzle bestaunten wir den Sonnenuntergang und verkrochen uns in die Schlafsäcke, um Energie für den nächsten Tag zu tanken. Soweit der Plan, an Einschlafen war nicht zu denken, auf dem Biwaksack entstand eine Eisschicht, von welcher der Wind immer wieder kleine Eisstücke in mein Gesicht beförderte. Irgendwann lies der Wind gnädiger Weise nach – prompt versank ich in einem mehr oder weniger tiefen Schlaf. Nach reichlich Kaffee und einigen Butterbroten am nächsten Morgen waren alle wieder so weit hergestellt, um den zweiten Teil des Weges zu bestreiten. Die Ereignisse des vergangenen Tages im Kopf erwarteten wir nicht wenig von dem weiteren Verlauf des Heilbronner Weges. Ein Gipfelmeer vor Augen, wechselten sich einfache schneefreie Abschnitte mit wenig anspruchsvollen verschneiten Abschnitten zu unseren Füßen ab, bis wir mit dem Bockkarkopf den nächsten Gipfel der Tour sammelten. Obwohl wir zu diesem Zeitpunkt erst wenige Höhenmeter erklommen hatten, war ich überraschend erschöpft, bedingt durch die relativ kurze Nacht auf der Höhe. Als nächstes und gleichzeitig letztes Gipfelziel steuerten wir die Mädelegabel an. Nach dem Abstieg auf den Schwarzmilzferner wühlten wir uns hinauf zum Einstieg der Trettachrinne – durch die eine berüchtigte Skiabfahrt führt – deponierten dort unsere Rucksäcke, und erklommen in schönster Genusskraxelei den schneefreien Gipfelaufbau der Mädelegabel. Nach kurzem genießen der Aussicht kehrten wir zu den Rucksäcken zurück und rutschten auf Schneefeldern in Richtung der Kemptener Hütte. Der Rutschspass endete jedoch schneller als gehofft, der Schnee wich Geröll und Gras, deren Rutscheigenschaften leider erheblich schlechter sind. Also ging es normal zu Fuß weiter. Da die nächsten gut 3 km zur Hütte weder bergauf noch bergab gingen, zogen diese sich wie Kaugummi. Der restliche Abstieg von der Hütte nach Spielmannsau war relativ schnell geschafft, nachdem es dort wieder ordentlich bergab ging. Den restlichen Weg zurück nach Oberstdorf brachte uns der Bus.

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